Ostturkistan

Am Donnerstag reckt ich meine himmelblaue Fahne in die Dunkelheit. Die ­Gesellschaft für bedrohte Völker hat zur Demonstration gerufen.

An Donnerstagabend dem 28. November 2019 stand ich mit meiner Familie auf dem Casinoplatz in Bern und hörte einer Rede über Gefangenenlager. Es ist die Fahne meiner Heimat Ostturkestan, weisser Halbmond auf hellblauem Grund, aber keine offizielle Landesflagge – Ostturkestan existiert nicht mehr. Die Heimat der Uiguren wurde 1949 von China annektiert und heisst heute Xinjiang. Ich kam dort an und wurde für ein Interview gefragt und meine Antwort lautete ja.

Das vergessene Volk

Zehn Millionen Uiguren leben dort als Minderheit. Das Volk wurde so klein, dass es fast aus dem Bewusstsein der Welt verschwand. Bis das Internationale Netzwerk ­investigativer Journalisten jetzt interne Dokumente der chinesischen Regierung veröffentlichte. Die sogenannten China Cables beweisen, dass Uiguren, Tibeter sowie andere Angehörige religiöser und kultureller Minderheiten systematisch von Peking verfolgt und willkürlich ­interniert werden. Die Zahl der ­Lagerinsassen wird auf über eine Million Menschen geschätzt. Die Regierung spricht von «Berufsbildungszentren». Die «Schüler» sollen die Werte der Kommunistischen Partei «lernen» – eine Massnahme gegen religiös motivierten Terror.

Das ist ein Ausschnit aus meinem Interview:

Kamran Kayser (17) weiss es ­besser: Seine Tante starb in einem dieser Lager, sein Onkel ist noch dort. Kamran ist einer von etwa 130 Uiguren in der Schweiz. Als Kleinkind kam er mit den Eltern nach Bern. Die kleine Berna ist seine Cousine. Die Grosseltern leben noch in Ürümqi, der Hauptstadt von Xinjiang. «Ich habe zuletzt vor einem Jahr mit ihr telefoniert», erzählt Kamran. «Sie war fröhlich – doch am Ende hat sie gesagt, wir sollten nicht mehr anrufen.»

Ein harmloses Telefonat ins Ausland genügt, um in eines der Internierungslager gesteckt zu werden. Anrufe werden überwacht, an allen öffentlichen Orten in Ürümqi hängen Kameras, deren Bilder mit Gesichtserkennungs-Software ausgewertet werden. Es ist das er­klärte Ziel Chinas, die uigurische Kultur auszulöschen. Um dies zu erreichen, dürfe die Führung in Xinjiang keine Gnade walten lassen, sagte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping. Die China Cables zeigen jetzt, wie er das meint.

Kamran Kayser sagt es auf Berndeutsch: «Ich bin Uigure. Ich vergesse nicht, wer ich bin und von wo ich komme.» Seine Kultur stehe für kunstvoll geknüpfte Teppiche, goldenen Schnickschnack und Polo – ein Gericht aus Reis, Rüebli und Fleisch. «Die Öffentlichkeit muss erfahren, was in China passiert», fährt Kamran fort. Dafür protestiert er. Berna mit der himmelblauen ­Fahne hat schon begriffen, was in Xinjiang vor sich geht: «Dort werden Menschen ins Gefängnis getan – aus gar keinem Grund.»


Es war eine sehr spannende und zugleich traurige Angelegenheit in der Zeitung über dieses Thema zu reden. Ich hatte eine sehr schwere Zeit und musste viel nachdenken. Die Welt versteht nicht was los ist und das sollte sich ändern. Ich hoffe sehr das in der Zukunft alles anders wird.